Allgemeine Informationen zur SG Enkheim

Festrede von Thomas Rosenlöcher am 26. August 2012 zur akademischen Feier der SG Enkheim

 

Mein Damen und Herren, liebe Sportfreunde,

125 Jahre Sportgemeinschaft Enkheim, Gründung als Turngesellschaft Enkheim von 1887. Das war das Jahr, in dem begonnen wurde, den Eifelturm zu bauen, auch so ein Sportsmann der bis heute aufrecht steht, wie die Sportsgemeinschaft Enkheim. 1.400 Mitglieder habe ich gelesen, mit 52 Übungsgruppen, wenn ich richtig gezählt habe. Sogar auf einen Turm wird gerannt, nein nicht auf den Eifelturmauf den Messeturm, das sogenanntejetzt muss ich gucken - Sky-Run-Team. 1.202 Stufen, hoffentlich ist das gesund. 125 Jahre Sportgemeinschaft! Wer erinnert sich schon noch an die diesjährige Fußballeuropameisterschaft, die wir dank Fernsehen und Zeitungen schon so gut wie gewonnen hatten, demselben Fernsehen und denselben Zeitungen, die das am nächsten Tag schon nicht mehr wussten, nach der Niederlage? Bei so viel Vergeßlichkeit sind 125 Jahre Sportgemeinschaft schon eine Ewigkeit!

 

Um so wichtiger, einen solchen Tag würdig zu begehen. Sich des Erreichten und zu Erreichenden inne zu werden und vielleicht auch einen Festredner reden zu lassen. Was mich dabei nur verwundert, ist der Festredner! Gewiss, lieber Vorstand, lieber Hans Beez, hätten sie keinen Sportvereinsunwissenderen als mich finden können. Nicht, dass ich etwas gegen Vereine hätte. Im Gegenteil. Den intellektuellen Hochmut gegenüber der in Deutschland angeblich so übermächtigen Vereinsmeierei habe ich längst hinter mir gelassen. Vielmehr leben wir ja in einer Vereinzelungsgesellschaft, in der selbst die Arbeit nicht mehr unbedingt Zusammenhänge stiftet. – Trotzdem: von Turngesellschaften und Sportgemeinschaften verstehe ich nun wirklich nichts. Und Sportplätze habe ich seit Jahrzehnten gemieden. Mehr nur noch aus der Erinnerung heraus vermag ich die Poesie solcher Stätten in mir heraufzubeschwören. Orte, die genau die Größe haben, wo für den Menschen Größe beginnt. Wo genau so viele Pappeln am Rand stehn, damit das Gefühl von Landschaft aufkommt. Wo genau so viele Vögel am Himmel fliegen, damit einen Wehmut anweht. Wo sich genau soviel Himmel über dem Rasen dehnt, um unten auf dem Rasen am Unermesslichen beteiligt zu sein.

Wobei auch die in sich geschlossene Aschebahn mir schon ab Runde Drei irgendwie unendlich vorkam. Zwar meinte, liebe Sportfreunde, ein gewisser Friedrich Schiller, von dem man sich auch nicht vorstellen kann, dass er je an einem Reck hochgekommen ist…Habe ich Reck gesagt, ich meinte Stange, verzeihen sie, dass ich dergleichen Geräte verwechsle, ist natürlich nicht zufällig .. - Kletterstange -…. Also dieser Kletterstangen vielleicht auch nicht heraufkommende Schiller meinte, dass das Schönheitsideal der Menschen darauf beruhe, wie sie ihren Spieltrieb befriedigen. (…und mit einer gewissen Bangigkeit denkt man bei einem solchen Gedanken an heutige Ballerspiele….) Jedenfalls meinte Schiller, dass aus guten Grund nicht die Römer mit ihren blutigen Gladiatorenkämpfen, sondern die Griechen mit ihren unblutigen Wettkämpfen der Kraft, der Schnelligkeit, der Gelenkigkeit, die Idealgestalten einer Venus oder eines Apollo hervorzubringen vermocht hätten. Ein wunderbarer Gedanke, der mir im Sportunterricht auf halber Strecke an der Kletterstange hängen geblieben, allerdings auch nie gekommen ist… Sportgeschichte, meine Damen und Herren, ist für mich eine Leidensgeschichte. Was auch an der Trillerpfeifenbehaftetheit meiner Sportlehrer gelegen haben mag, die den berühmten Juvenal-Satz ins Gegenteil verkehrten, dahingehend, dass sie behaupteten, dass nur in einem gesunden Körper ein gesunder Geist wohnen könne. Dabei hat Juvenal etwas ganz anderes geschrieben (…er hat wahrscheinlich im Fernsehen die Sportler seiner Zeit auch schon vor dem Mikrofon ihren gesamten Wortschatz ausbreiten gehört, indem sie, noch keuchend „super“ fortwährend sagten, nichts als super und manchmal okay…sie kennen tatsächlich kein anderes Wort) ….dabei hat Juvenal etwas ganz anderes geschrieben: er meinte, dass man darum beten müsse, dass in einem solchen Superkörper auch ein gesunder Geist wohnen möchte!

Jedenfalls haben meine Lehrer den Juvenal einfach umgekehrt, sprich: unsereinem zu verstehen gegeben, daß in einem, der wie ich nicht mal die Kletterstange hoch käme, niemals ein gesunder Geist wohnen könne. Und das, obwohl mir gerade die, die in der Schule ohne weiteres die Kletterstange hochkamen, oft auffällig ungeistig vorgekommen sind. Nur bei Karl May kam es vor, dass jemand ohne weiteres über das Pferd hinwegsprang und anschließend noch einen höheren Gedanken äußerte. Nein, liebe Freunde, der Reim „Sport ist Mord“, hat mir manchmal schon eingeleuchtet und noch vor einem Jahr (hier in Bergen-Enkheim) habe ich frei nach Goethe geschrieben: „der Fitnessfimmel, das ist des Volkes wahrer Himmel“. Doch als vor einem Jahr die Frage an mich erging, ob ich nicht zum 125ten Jubiläum die Festrede halten wolle, wollte ich immerhin die Damen und Herren einmal kennenlernen, die sich so etwas trauten. Und so kam es, dass ich im Vereinshaus Riedstadion saß; unter der kostbaren Vereinsfahne mit dem Turnvater Jahn, die mir damals bisserl größer vorkam als jetzt hier im Festsaal… schon beeindruckend dieser Mann mit dem stechenden Blick und dem ausgefransten Eremitenbart, von dem man sich auch nur schwer vorstellen kann, daß er je eine Kletterstange hochgekommen ist. Wobei ich zu meiner Erleichterung sofort ein Bier angeboten bekam; Biertrinker erkennen einander. Freilich mir schwirrte der Kopf: Gymnastik, Turnen, Leichtathletik, Badminton, Basketball, Tischtennis, Volleyball, Schwimmen, Kunstspringen, Triathlon, Gesellschaftstanz, Wandern … über 50 Übungsgruppen und du musst maximal 9,--Euro zahlen pro Monat, und bekommst einen vollständigen Übungsleiter oder Trainer gestellt, der dich vielleicht gelegentlich auch mal anpfeift. Außerdem gibt es jährliche Gemeinschaftsfeste, im Verein wird vereint. Nicht umsonst, so hörte ich schon vor einem Jahr, sei das Motto „Sport gemeinsam erleben“. Wobei es ja wohl tatsächlich auf das Wort „erleben“ ankommt. Von Anfang an hat man sich hier, in diesem einstigen Arbeiterverein, gegen Instrumentierung für Außersportliches gewehrt, und das so lange und so gut es ging. – Trank also meinerseits noch ein Bier mit den hochsympathischen Vereinsfreundinnen und – freunden und schielte unter der kostbaren Turnvater-Fahne ein wenig auf den Sportplatz hinaus, in Richtung Aschebahn. – Unter der Fahne, die bekanntlich 1933 von Enkheim nach Bergen gebracht werden sollte, um sie dort mit den Fahnen anderer aufgelöster Vereine zu verbrennen. Ein Vereinsmitglied Namens Jean Griese wickelte Sie um seinen Körper und fuhr damit mit dem Fahrrad nach Bischofsheim. Auch nach 45 blieb die Fahne dort noch eine Weile im Versteck, die Amis nahmen dergleichen gern mit; eremitische Turnväter machten sich gut in Ohio. „Wer seinen Körper stählt, pflegt seine Seele“; steht auf der Rückseite der Fahne geschrieben. Und selbst wenn man sich die Frage stellt, was in einem gestählten Körper eigentlich für eine Seele wohnen mag, ist mir der dieser Satz schon lieber als der Spruch „vom gesunden Körper, in dem allein ein gesunder Geist wohnen kann“. Außerdem steht auf der Fahne „Frei Heil“.

Und wer dabei zusammenzuckt, wie ich im ersten Moment, darf sich beruhigen: Das zackige Heil, heißt ja nichts weiter als Glück, Gesundheit, Ganzheit. Und „Frei Heil“ heißt dann auch nichts anderes als: Gesundheit oder Glück in Freiheit. Und wer wollte das nicht unterschreiben. – Also die Fahne könnt Ihr verwenden. Nein, ein drittes Bier trank ich nicht, mit Blick auf die Aschebahn. Auch der Vorstandsvorsitzende, der damalige, gestand auf eine entsprechende Anfrage hin, dass er, seit er hier Vorsitzender sei – er blickte auf die Aschebahn – selber auch nicht mehr zum Sport käme. Das muss sich ändern, sagte ich, leichtsinnigerweise, mit Blick auf die Aschebahn. Zum Abschluss bekam ich noch eine freundliche Führung; nicht ohne den sympathischen Damen von der Frauengymnastik zu begegnen, den sogenannten Mittwochsfrauen. Berühmt dafür, dass sie noch etwas zusammen sitzen nach den Übungen und laut Quelle 1 ein Glas Bier, oder ein Glas Wein oder ein Glas Wasser trinken, oder – laut Quelle 2–dieses und jenes Glas Appelwoi. Übrigens bekam ich bei der Führung auch mit, was ich vielleicht gar nicht unbedingt mitbekommen sollte: nämlich wie ein Übungsleiter zwei Mädchen anpfiff, die sich beim Bodenturnen auf dem Bodenräkelten, wobei der Satz fiel: „Wir sind nicht nur zum Spaß hier“. Ein Satz, nur scheinbar im Widerspruch zu dem oft zu hörenden Satz, dass Sport Spaß mache. Aber was die Spaßgesellschaft immer vergisst, ist: Nur Spaß macht keinen Spaß. Kurz, auch als Trillerpfeifengeschädigter muss ich zugeben, dass ein anderer, ebenfalls häufig zitierter, Satz, nämlich „Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt“, schon eine gewisse Richtigkeit hat.

Ohne Wettkampf kein Wettkampf, liebe Sportfreunde. Und jetzt wollte ich ein Gedicht vorlesen, das liegt allerdings da unten unter meinem Sitz. Wenn Du’s mir mal hochgeben würdest…“ (zur anwesenden Ehefrau). – Ja, habs in der Aufregung da unten liegen lassen. Das Gedicht ist von Karl Mickel und ist ein Wettkampfgedicht. Eins, das den Sport ernst nimmt….es gibt heute viel mehr Gedichte, die sich über Sport lustig machen, also: so ein Gedicht ist gar nicht leicht zu finden:

Siebter Gang Neulich sah ich vor mir einen Burschen Aufm alten Rad, jedoch 5 Gänge. Ich fuhr heran, er sah mich kommen und Trat ins Pedal. Ich ruhig hinterher. Der schuftete! der Oberkörper schwankte, Hätte ich ihn gesehn von vorne, ich hätte Auf seiner Stirn den kalten Schweiß gesehen. Dann trat ich an. Nach einem Kilometer Im siebten Gang, er war der günstigste,  Zu groß nicht für den Antritt, nicht zu klein Für hohes Tempo, vorsorglich geschaltet Und zog vorbei. Ein Seitenblick belehrte Mich über seine Jahre, zehn Jahre jünger, Mindestens, und ich bin 35. Ich rollte aus, von ihm war nichts zu blicken. Ich schaltete darauf meinen zehnten Gang, Der seinem fünften gleichkam, wartete Bis er heran war, gab ihm eine Chance. Trat wieder an, er hielt nicht mit im Windschatten! Da war ich aber richtig stolz auf mich. All die Zigarren hatten nicht geschadet.

Ja, meine Damen und Herren, habe mich also vor einem Jahr nach zwei Bieren doch darauf eingelassen, jetzt hier vor Ihnen zu stehen: In der Hoffnung, dass mir schon noch etwas einfallen würde innerhalb eines Jahres. Allerdings gab es im vergangenen Jahr gewisse Verschiebungen bei mir, was mein sportliches Selbstverständnis angeht. Das begann damit, dass ich meinen untersuchungshalber hinter mir stehenden Hausarzt murmeln hörte: „Sie werden ja unter dem Regenschirm nass“. Naja, macht nichts, bin Regenschirmgegner. Doch das mich an diesem Satz trotzdem bestürzte, war, dass ich ihn selber erst drei Tage später verstand. Freilich, dass ich bei meiner Körperhaltung einmal frühzeitig krumm werden würde, hatten mir schon meine trillerpfeifenbehaftenden Sportlehrer prophezeit: „Rosenlöcher, Du stehst schon wieder wie eine Bogenlampe in der Gegend herum.“ Nun aber war ich offenbar wirklich krumm geworden, und die Trillerpfeifen hatten recht gehabt! So kam es, daß ich mir, statt Schiller, ein Buch kaufte, das „Die besten Leibesübungen aller Zeiten“ hieß. In dem Buch fungiert ein zeichnerisch dargestellter Herr als Übungsleiter, der haargenau den Gründungsmitgliedern der Turngesellschaft 1887 ähnelt. Ich kann ihn Ihnen auch gern zeigen, so ganz grob, die vorderen werden es wenigstens sehen. (Öffnet das Buch und zeigt die Seite ins Publikum). Freilich, ab einem bestimmten Krummheitsgrad ist nichts mehr zu machen. Gleichwohl turne ich seit einiger Zeit wenigstens gegen meinen eigenen inneren Buckel an! Ein weiteres Ereignis: Bin vor kurzem kurz in einer Klinik gewesen, musste einen Schlauch schlucken. Zwei Ärztinnen schauten über einen Monitor in mein Herz, keine Ahnung was sie da gesehen haben. Hörte nur die Worte Aorta und Verkalkungen. Anschließend bekam ich eine Menge Medikamente verschrieben; zum täglichen Verzehr. Hörte diesmal aber den schon erwähnten Hausarzt murmeln: „Täglich eine halbe Stunde Laufen oder Rennen bringt mehr als der ganze Arzineikladderaddatsch!“ Aber das, setzte er hinzu, schaffen Sie ja sowieso nicht! Da bekam ich es mit der Wut, „und ob ich das schaffe!“ rief ich.

Bin jedenfalls unterdessen auf meinem Dorf als „Der Schnelläufer“ bekannt. Ja, liebe Sportfreunde, in gewisser Weise könnte ich unterdessen vielleicht sogar als Sportfreund gelten. Freilich renne ich laufend allein gegen meine eigenen Verkrustungen an. Nachdenklich stimmte mich daher die Mitteilung: Wichtiger als Ernährung, Sport und dergleichen sei, in welchen Lebenszusammenhängen wir leben. Anders gesagt: die eigene Frau sei unser Hauptgesundheitsrisiko. (Zwischenrufe: Die Männer) Oder – natürlich! – der eigene Mann! Sprich: Sport, gemeinsam erlebt, ist wirksamer als Sport allein. Welcher der über 50 Übungsgruppen sollte unsereins schleunigst beitreten? Möglichst gleich allen, vom Leistungssport einmal abgesehen?! Neige allerdings mental mehr zu den Mittwochsfrauen, die laut Quelle 1 ein Glas Wasser, ein Glas Wein oder ein Glas Bier trinken, beziehungsweise laut Quelle 2 dieses und jenes Glas Appelwoi. - Und vielleicht darf ich frei nach einem Gedicht von Adolf „Eddy“ Endler noch eine weitere Sportart vorschlagen?

Ode auf eine vernachlässigte Sportart

Ich rollte und ich hatte meine Hand

Eng an der Hosennaht, wie ein Gefreiter,

Den Aftermuskel aufmerksam gespannt:

Es war im grünen Gras, im regennassen.

Holunderhimmel sind und Blumengassen!

Ja, Sichdenberghinunterrollenlassen!